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Brauchen wir die Atomkraft für eine erfolgreiche Energiewende?

Die Expertinnen Jeanne Rubner und Claudia Kemfert erläutern ihre unterschiedlichen Positionen zur Bedeutung der Kernenergie für den Klimaschutz.

08.11.2024
AKW Grafenrheinfeld am Tag seiner Sprengung im August 2024
AKW Grafenrheinfeld am Tag seiner Sprengung im August 2024 © pa/dpa

Die Bundesregierung setzt auf den Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie. Doch es gibt auch Stimmen, die gerade in der Kernkraft große Chancen für den Klimaschutz sehen. Stellvertretend für die kontroverse Diskussion haben wir die Expertinnen Jeanne Rubner und Claudia Kemfert um ihre Einschätzungen gebeten zu der Frage:

Wird die Atomkraft für eine erfolgreiche Energiewende benötigt?

„Atomstrom ist klimafreundlich, sicher und rentabel“

Ein PRO von Prof. Dr. Jeanne Rubner, Vizepräsidentin Globale Kommunikation und Public Engagement an der Technischen Universität München (TUM). Die Wissenschaftsjournalistin und promovierte Physikerin hat zudem einen Lehrauftrag an der Hochschule für Politik München.

„,Ich schau das mal bei ChatGPT nach‘, sagte mir kürzlich eine Studentin. Meine Generation googelt, unsere Kinder nutzen schon KI. Was sie dabei häufig vergessen: Eine Anfrage bei ChatGPT oder einem anderen Large Language Model kostet etwa zehn Mal mehr Energie, als wenn man eine klassische Suchmaschine bemüht. Google will daher den steigenden Strombedarf für KI ab 2030 durch kleine modulare Atomreaktoren decken. Auch Microsoft ist auf der Suche nach Nuklearstrom für seine Rechenzentren.

Jeanne Rubner: „Kernkraftwerke liefern klimafreundlichen Strom.“
Jeanne Rubner: „Kernkraftwerke liefern klimafreundlichen Strom.“ © Astrid Eckert/TU Muenchen

Der Stromverbrauch für KI-Anwendungen wächst uns über den Kopf. Zusammen mit dem – angesichts der Erderwärmung – notwendigen Ausstieg aus fossilen Quellen laufen viele Industriestaaten sehenden Auges in einen riesigen Energiemangel. So schnell wie wir erneuerbare Quellen benötigen, können wir sie derzeit nicht ausbauen. Windräder und Solarpanele brauchen Platz und vor allem die Zustimmung der Menschen, die in der Nähe wohnen. Auch die notwendigen Übertragungsnetze und Speicher überfordern derzeit die Planer.

Aus ökologischen und ökonomischen Gründen wäre es schlauer gewesen, die bestehenden Kernkraftwerke länger am Netz zu lassen, um den fossilen Ausstieg zu schaffen. Selbst wenn es in Deutschland noch immer kein Endlager für hochradioaktiven Müll gibt. Das Lager wird man ohnehin brauchen, und den zusätzlichen Abfall, der durch die Verlängerung der Laufzeiten entstanden wäre, hätte man durchaus bewältigen können. Stattdessen hat Deutschland ohne Not die Kernkraftwerke abgeschaltet und regenerative Quellen teuer subventioniert. Die Folgen: hohe Energiekosten und zugleich eine miserable CO2-Bilanz.

Soll man die bestehenden Kraftwerke wieder hochfahren? Ja, wenn es sicherheitstechnisch und ökonomisch vertretbar ist, und auch die CO2-Bilanz ausreichend positiv ausfällt. Für bestehende Kernkraftwerke gelten diese drei Bedingungen – sie haben bewiesen, dass sie sicher und rentabel klimafreundlichen Strom liefern.

Der Testfall wird das Atomkraftwerk Three Mile Island im US-Bundesstaat Pennsylvania sein. Microsoft will den nicht vom Atomunfall 1979 betroffenen und vor fünf Jahren abgeschalteten Reaktorblock 1 wieder in Betrieb nehmen lassen und mit dem Strom seine Rechenzentren betreiben. Der Eigentümer hat bereits mitgeteilt, den Block hochzufahren – eine Premiere für die USA. Falls die Behörden Three Mile Island 2.0 genehmigen, wird man wissen, wie hoch die Kosten für eine Wiederinbetriebnahme sind. Auch kleine, modulare Reaktoren, mit denen Google seinen Strombedarf decken will, müssen sich noch beweisen beziehungsweise erst zugelassen werden. 

Doch die Zeit drängt. Wenn wir nicht rasch neue, klimafreundlichere Stromquellen erschließen, dann wird sich die Erde gnadenlos weiter erwärmen. Die Folgen sind bereits heute sichtbar und sie können durchaus tödlich sein wie bei der verheerenden Unwetterkatastrophe in der spanischen Region Valencia.“

„Kernenergie ist zu teuer, zu langsam und zu gefährlich“

Ein CONTRA von Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg.

„Die Energiewende wird nur ohne Atomkraft gelingen. Studien zeigen, dass Kernenergie zu teuer, zu langsam und zu gefährlich ist und zudem die Energiewende hin zu mehr erneuerbaren Energien blockiert. Atomkraft ist und bleibt exorbitant teuer und unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht finanzierbar. Reaktoren können nur gebaut werden, wenn sie subventioniert oder ausschließlich staatlich finanziert werden (wie in China oder Russland). Ohne diese Subventionen wäre Atomstrom für Haushalte und Unternehmen unbezahlbar. Einkalkuliert werden müsste auch der Rückbau der Reaktoren, der Jahrzehnte dauert, sowie die Endlagerung des atomaren Mülls, für die es bis heute keine Lösung gibt.

Claudia Kemfert: „Atomenergie ist eine Technik der Vergangenheit.“
Claudia Kemfert: „Atomenergie ist eine Technik der Vergangenheit.“ © Oliver Betke

Atomenergie ist zudem risikoreich, was sich schon daran zeigt, dass sie nicht versicherbar ist, und sie kann militärisch missbraucht werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Atomenergie ist eine Technik der Vergangenheit, nicht der Zukunft. In der Kombination mit erneuerbaren Energien sind Atomkraftwerke zu unflexibel und behindern damit den Umstieg auf erneuerbare Energien und eine echte Energiewende.

Ohne Atomstrom ist die die Stromversorgung in Deutschland sicher, bezahlbar und klimafreundlich. Mit sinkenden Gaspreisen sinken auch die Strompreise. Zudem ist der Anteil des Kohlestroms zurückgegangen, da sich der Einsatz mit derzeit hohen EU-CO2-Preisen nicht lohnt. Der Anteil erneuerbarer Energien ist hingegen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen und hat den weggefallenen Atomstrom nicht nur ersetzt, sondern deutlich überkompensiert. 

Die angeblich weltweite Renaissance der Atomenergie ist ein Mythos. In Summe werden mehr Reaktoren zurückgebaut als fertiggestellt. Auch die angeblich innovativen kleinen ,Small Modular Reactors‘ (SMR), die durch diverse Start-ups immer mal wieder Konjunktur haben, sind kaum mehr als ,Power-Point-Reaktoren‘, eine über 70 Jahre alte Technik, die bis heute nicht im Einsatz ist. Es ist eine Wette auf die Zukunft. Doch die Zeit drängt, wir sollten nicht noch weitere Jahrzehnte mit Forschung vergeuden, die uns dann zeigen, was wir vorher wussten: Atomenergie hat keine Zukunft.

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah: Erneuerbare Energien sind deutlich preiswerter, heute einsatzfähig, risikoarm und klimaschonend. Mit erneuerbaren Energien schaffen wir Versorgungssicherheit, Dezentralität, Klimaschutz und Frieden. Eine Energiewende ohne Atomkraft ist das beste Friedensprojekt, das wir heute haben.“