„Klares Bekenntnis zu einer gemeinsamen Wertebasis“
Die Einbürgerung zu erleichtern ist im ureigenen Interesse Deutschlands, sagt Reem Alabali-Radovan, Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration.
Frau Alabali-Radovan, im Juni 2024 ist das neue Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft getreten. Wie ordnen Sie die Änderungen ein in die Entwicklung Deutschlands hin zu einem modernen Einwanderungsland?
Die Reform ist ein großer Erfolg, viele Menschen haben seit Jahren und Jahrzehnten darauf gewartet. Mit den Änderungen schließen wir endlich zu den modernen Einbürgerungsgesetzen anderer Länder auf. Das Gesetz steht in einer Reihe vieler Vorhaben, die die Bundesregierung auf dem Weg zu einem modernen Einwanderungsland schon beschlossen hat.
Eine wesentliche Neuerung durch das Gesetz ist die generelle Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft. Welche Vorteile bringt diese Änderung?
Viele in unserem Land haben schon heute mehr als eine Staatsangehörigkeit. Bisher war Mehrstaatigkeit aber nicht bei jeder Einbürgerung erlaubt. Mit dem Gesetz schaffen wir endlich Gerechtigkeit und ermöglichen allen, neben der deutschen ihre bisherige Staatsangehörigkeit zu behalten.
Durch das Gesetz sollen zudem die Hürden für die Einbürgerung gesenkt werden, etwa durch eine kürzere Mindestaufenthaltsdauer. Warum war das nötig?
In anderen Einwanderungsländern sind kürzere Aufenthaltsfristen schon längst gang und gäbe. Wenn wir hier nicht Anschluss halten, verlieren wir im internationalen Vergleich an Attraktivität für Fachkräfte. Aber natürlich muss jede und jeder für die Einbürgerung weitere Voraussetzungen erfüllen, zum Beispiel gut Deutsch sprechen, den eigenen Lebensunterhalt sichern und sich zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen.
Nicht zuletzt sollen Einbürgerungsverfahren schneller und effizienter ablaufen. Welche Maßnahmen sieht das Gesetz dafür vor?
Die meisten Menschen, die sich in Deutschland einbürgern lassen, hatten bereits Kontakt mit Ausländerbehörden, haben Dokumente und Nachweise eingereicht. Trotzdem müssen noch zu viele Dokumente doppelt eingereicht werden. Das erschwert die Abläufe für Antragstellende und Bearbeitende. Mit dem neuen Gesetz ist jetzt ein besserer Austausch der Behörden untereinander möglich. Gleichzeitig digitalisieren wir viele Prozesse, um die Mitarbeitenden der Einbürgerungsbehörden bei ihrer Arbeit zu unterstützen. So können vorhandene Daten effizienter genutzt werden.
Inwiefern trägt das neue Gesetz zu einer positiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands bei, etwa mit Blick auf Fachkräfte?
Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist schon heute riesig, besonders im Gesundheits- und Pflegebereich sieht es dramatisch aus. Es ist in unserem ureigenen Interesse, dass mehr Fach- und Arbeitskräfte kommen und auch bleiben. Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen: Rechtlich haben wir das gemacht, aber auch gesellschaftlich muss sich etwas ändern. Es ist eine Sache, diese Menschen als Fachkraft für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen, eine ganz andere ist es, dafür zu sorgen, dass sie dauerhaft hierbleiben wollen. Das hat sehr viel mit einer positiven Willkommenskultur zu tun: Integrationsangebote, Kita-Plätze für die Kinder und faire Perspektiven für eine künftige Einbürgerung. Und nicht zuletzt die Frage: Wie ist die Stimmung in Deutschland? All das spielt eine Rolle bei der Entscheidung für Deutschland.
Kritiker des neuen Gesetzes meinen, die deutsche Staatsbürgerschaft würde dadurch entwertet. Was entgegnen Sie solchen Stimmen?
Das Gegenteil ist der Fall: Das Gesetz schafft Anreize zur schnelleren Integration. Wir haben im Gesetz auch festgelegt, dass die deutsche Staatsbürgerschaft ein klares Bekenntnis zu einer gemeinsamen Wertebasis bedeutet. Einbürgerungsbewerbende müssen sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens. Wenn jemand antisemitisch, rassistisch oder anderweitig menschenverachtend handelt, ist eine Einbürgerung ausgeschlossen.
Aus Ihren persönlichen Gesprächen mit Menschen mit Einwanderungsgeschichte: Was bedeutet ihnen die Einbürgerung?
Die Einbürgerung bedeutet für viele ein Leben in Sicherheit, in einer Demokratie, in einem funktionierenden Rechtstaat. Das Grundgesetz setzt die Menschenwürde an erste Stelle, es garantiert gleiche Rechte für alle, unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht und Hautfarbe. Und nicht zuletzt ist es auch ein großer Gewinn und eine Wertschätzung für das Leben in Deutschland, wenn sich Menschen für eine Zukunft hier im Land und die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden.
Reem Alabali-Radovan,
geboren 1990 in Moskau, ist Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2021 Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. Seit 2022 ist sie zudem Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus.