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„Die Jahrhundertflut ist nur noch eine Dekadenflut“

Die Klimaforscherin Friederike Otto untersucht die Auswirkungen des Klimawandels auf Extremwettereignisse. Im Interview spricht sie über ihre Forschung. 

04.10.2024
Friederike Otto prägte die sogenannte Zuordnungsforschung.
Friederike Otto prägte die sogenannte Zuordnungsforschung. © Dunja Opalko

Friederike Otto wurde 1982 in der norddeutschen Stadt Kiel geboren, studierte Physik in Potsdam und promovierte im Fach Philosophie an der Freien Universität Berlin. Sie arbeitete an der Universität Oxford und ist heute Professorin für Klimawissenschaften am Imperial College in London. Als Klimaforscherin wirkte sie am IPCC-Bericht des Weltklimarats mit und prägte die noch junge Attributionsforschung, die den Einfluss der Klimaerwärmung auf bestimmte Wetterextreme untersucht. 

Frau Professorin Otto, Extremwetter gab es schon vor dem Klimawandel, mit dem wir uns heute konfrontiert sehen. Was verändert sich durch den Klimawandel?
Extremwetter ist per Definition seltenes Wetter. Viele Wetterereignisse, allen voran Hitzewellen, die im letzten Jahrhundert Extremereignis waren, also vielleicht eine 0,01 Prozent Wahrscheinlichkeit hatten, überhaupt jemals stattzufinden, treten jetzt alle zwei Jahre auf. Die „Jahrhundertflut“ ist nur noch eine „Dekadenflut“.  

Die Weltregionen haben mit unterschiedlichen Arten von Extremwettern zu kämpfen. Konnten Sie Regionen identifizieren, die besonders betroffen sind?
Während viele Menschen in Deutschland nach wie vor glauben, im „Tal der Seligen“ zu leben, wo es keine tödlichen Wetterereignisse gibt, wird der globale Süden von schrecklichen Dürren heimgesucht. Die Unterschiede in Extremwetter sind jedoch tatsächlich relativ gering im Vergleich zu den dramatischen Unterschieden in der Vulnerabilität – also wer, wie unter den Wetterereignissen leidet. Menschen sterben in Hitzewellen überall auf der Welt, verlieren ihr Haus durch Starkregen und Ernten in Dürren. In Deutschland gibt es Soforthilfe vom Staat, in Somalia nicht. 

Wie kann die Attributionsforschung helfen, uns gegen künftige Extremwetter zu wappnen?
Attributionsforschung zeigt zum einen wie sich das Wetter durch den Klimawandel bereits verändert hat, also dass zum Beispiel die Überschwemmungen in Zentraleuropa vor einem Monat keine Jahrhundertereignisse mehr darstellen, sondern mindestens doppelt so oft zu erwarten sind. Sie zeigt aber auch, wer sein Leben und wer die Lebensgrundlage verliert – und warum. Beide Arten von Informationen sind wichtig, um Resilienz zu erhöhen, zeigen aber auch, wie unglaublich teuer das Versagen in der Klimapolitik bereits jetzt ist und wer den Preis zahlt. 

Gibt es ein Land oder eine Region, die Sie in Bezug auf ihren Umgang mit dem Klimawandel als besonders fortschrittlich bezeichnen würden?
Nein. Aber es gibt Beispiele für einen guten Umgang in einigen Aspekten, zum Beispiel hat Pakistan sehr gute Climate-justice-Gesetze. Und Paris – als einziger Ort der Welt – spricht zumindest darüber, dass die Welt ohne Privat-PKWs unglaublich viel lebenswerter wäre, und dies auch völlig unabhängig vom Klimawandel.