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Ziel ist die Sicherheit der Menschen

Müssen für eine neue Nationale Sicherheitsstrategie Freiheiten aufgegeben werden? Antworten von Friedensforscher Christopher Daase. 

02.09.2022
Christopher Daase, Friedensforscher in Frankfurt
Christopher Daase, Friedensforscher in Frankfurt © Geisler-Fotopress/Kern

Herr Professor Daase, für wen soll die Nationale Sicherheitsstrategie Sicherheit schaffen? 
In demokratischen Staaten geht es letztlich immer um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, das heißt: die Gewährleistung ihrer Freiheit, ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben zu führen. Aber um diese Freiheit zu gewährleisten, müssen die gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen funktionieren. Deshalb wird Sicherheit häufig als die Sicherheit des Staates im Sinne territorialer Unversehrtheit und politischer Selbstbestimmung verstanden. Letztlich steht staatliche Sicherheit aber immer im Dienst menschlicher Sicherheit. Sicherheit endet allerdings nicht an den nationalen Grenzen. Auch jenseits ihrer eigenen unmittelbaren Interessen tragen demokratische Staaten (und ihre Gesellschaften) eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen von Menschen in Not. 

Vor welchen Gefahren soll sie schützen? 
Nationale, gesellschaftliche und menschliche Sicherheit sind durch vielfältige Gefahren bedroht. Kriege und Konflikte gehören ebenso dazu wie Wirtschaftskrisen, Umweltzerstörung und der Klimawandel. Die größte Herausforderung der Sicherheitspolitik besteht darin, Prioritäten zu setzen und Gefahren möglichst so zu reduzieren, dass andere Gefahren nicht erhöht werden. Oft aber müssen Abwägungen getroffen werden, etwa wenn, wie gegenwärtig, Einschnitte in der Wohlfahrt (also der wirtschaftlichen Sicherheit) zugunsten bündnispolitischer Verteidigung (also militärischer Sicherheit) vorgenommen werden müssen.  

Sicherheit schränkt Freiheit nicht nur ein, sie ermöglicht sie auch!
Christopher Daase, Friedensforscher

Wie müsste die neue Verteidigungspolitik aussehen? 
Die Sicherheitspolitik wird sich zukünftig stärker auf militärische Verteidigung und Abschreckung konzentrieren. Denn Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur nachhaltig zerstört. Davon sind auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen betroffen: Es wird zu einer „kontrollierten Entflechtung“ kommen müssen, damit sich Deutschland aus einseitigen (etwa energiepolitischen) Abhängigkeiten löst. 

Gleichzeitig ist es wichtig, nicht vollständig auf Konfrontation umzustellen, sondern das langfristige Ziel einer kooperativen Sicherheitspolitik im Blick zu behalten. Dafür können schon jetzt Ideen entwickelt werden, wie die angestrebte Aufrüstung rüstungskontrollpolitisch eingebettet werden kann, damit es nicht zu einem neuen Rüstungswettlauf kommt. 

Vorstellung des Friedensgutachtens 2022 in Berlin: Christopher Daase, Ursula Schröder, Conrad Schetter und Tobias Debiel bei der Bundespressekonferenz
Vorstellung des Friedensgutachtens 2022 in Berlin: Christopher Daase, Ursula Schröder, Conrad Schetter und Tobias Debiel bei der Bundespressekonferenz © Geisler-Fotopress/Kern

Wieviel Freiheit müssen wir für Sicherheit aufgeben? 
Traditionell geht man davon aus, dass Sicherheit immer auf Kosten der Freiheit geht: Die Polizei kann Häuser durchsuchen, um Diebe zu fangen; die Armee kann Soldaten rekrutieren, um das Land zu verteidigen; der Staat kann Steuern erhöhen, um das Militär besser auszustatten. Stellt man allerdings die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ins Zentrum, dann geht es nicht um Einschränkung, sondern die Gewährleistung von Freiheit – nämlich darum, ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben zu führen. Sicherheit schränkt Freiheit nicht nur ein, sie ermöglicht sie auch! Das bedeutet, dass die Gesellschaft selbst bestimmen muss – sei es in Wahlen oder durch die Beteiligung am politischen Diskurs – welche staatliche Sicherheitspolitik sie für welche gesellschaftliche Freiheit für angemessen hält. 

 


Professor Dr. Christopher Daase ist stellvertretendes geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) | Peace Research Institute Frankfurt (PRIF). Er lehrt an der Goethe-Universität in Frankfurt. 

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